Wie sollen wir mit Schuld umgehen? Mit unserer eigenen Schuld oder wenn andere Menschen uns gegenüber schuldig werden? Wie kann ich mir selbst und anderen verzeihen? Vergibt Gott wirklich ALLES? Welche Rolle spielt meine Vergangenheit in meinen Taten der Gegenwart und der Zukunft?
Existenzielle Fragen, auf die Torsten Hartung im Rahmen des Wahlfachs Weltethos unter der Leitung von Ralph Olbrich und Barbara Kretschmer unseren Schülerinnen und Schülern der Klassen 9 bis 11 Antworten gab. Als deutschlandweit bekannter Experte für Schuld und Vergebung reiste er aus der Nähe von Leipzig an, um den Jugendlichen von Schuld, Vergebung und Neuanfang in seinem eigenen Leben zu berichten. Ergreifend und authentisch fesselte er die Zuhörerschaft mit seinen Berichten aus der Kindheit, die geprägt war von massiver Gewalt, Druck und Schuldzuweisungen. „Das war alles andere, als wenn man dem Kind sagt: ,Willkommen in der Welt‘“, so fasste Hartung diese ersten Jahre zusammen. Er sieht in diesen Jahren die Gründe seines später zügellosen, gewalttätigen und kriminellen Handelns. Schon bald verprügelte er größere Schüler, womit er sich Respekt verschaffte. „Kann jemand, der keine Liebe erfahren hat, zu Liebe fähig sein?“ stellte er die rhetorische Frage, mit der er seine Beziehungs- und Empathieunfähigkeit beschrieb. Relativ mittellos schlug er in Berlin auf und hier tat sich die große Chance aufs schnelle Geld auf: Autoschieberei. Im Auftrag des „Paten von Riga“ verschob er mit seiner Bande, die rasch auf 54 Mitglieder wuchs, Luxusautos nach Russland. In der Woche machte er so schnell mal 90 000 Dollar Gewinn. Die Polizei war ihm irgendwann auf den Fersen und schaffte es, einen Spitzel in die Bande einzuschleusen – diesen Spitzel erschoss Hartung in einem Wald bei Riga. „Vor Euch steht ein Mörder!“ erzählt er in sachlichem Ton den Jugendlichen und macht eine Kunstpause, in der betretenes Schweigen unter den Jugendlichen herrscht. „Es wäre keine Geschichte von Gott, wenn sie hier enden würde!“, so setzt er seinen Lebensbericht fort. Hartung wurde überführt und verhaftet. Es warteten über vier Jahre Isolationshaft auf ihn. Ganz alleine mit sich und seinen Gedanken, einsam und abgeschirmt, begann Hartung sein Leben Revue passieren zu lassen. Das Chaos in sich selbst bewegte sich zwischen den verschiedenen Schulderfahrungen seines Lebens hin und her – Schuld gegen ihn und Schuld, die er gegen andere richtete und das im Lichte seiner katastrophalen Kindheit. Dann berichtet Hartung von einem Berufungserlebnis, einer Stimme, der Stimme Gottes, wie er sagt, die zu ihm deutlich und vernehmlich spricht: „Ich weiß!“ Dieses Verständnis schaffte ein Gefühl des Angenommenseins und der Zufriedenheit. „Wie ein Baby“ schlief Hartung in der Nacht nach diesem Ereignis. Er begann, sein Leben ernsthaft zu reflektieren, wurde immer wieder auf Stellen in der Bibel gestoßen, in denen die allumfassende Vergebung Gottes beschrieben wird und er stellte sein Leben unter dieses neue Licht. Hartung zeigte Reue und ehrlichen Besserungswillen. Kurz nach dem Ereignis machte er bei der Staatsanwaltschaft reinen Tisch, gab all seine Machenschaften zu und wurde zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Er ließ sich in dieser Zeit taufen und bereitete sich auf ein Leben nach dem Gefängnis vor. „Es gehört alles zu meinem Leben – ich habe nur dieses eine“, meint Hartung. Er empfindet tiefe Reue über seine kriminelle Vergangenheit, versucht aber täglich neu, den Schaden, den er angerichtet hat, in irgendeiner Weise gut zu machen. Dies tut er in der Begleitung Jugendlicher, die kriminell geworden sind und die er in pastoraler Gefängnisarbeit für das Leben stärkt. Und Hartung ist auch wieder auf Tour: regelmäßig fährt er nach Albanien und bringt ganz besondere Luxusgüter dorthin, z. B. Spielsachen für ein Kinderheim, Kleidung und Möbel für Menschen in Armut. Sein Organisationstalent und seine Abenteuerlust setzt er jetzt für die gute Sache ein.
Ein Leben, das sich keine Netflixserie ausdenken kann. Ein authentischer Mensch, der offen und schonungslos ehrlich seine Verfehlungen zugibt, reinen Tisch macht und diese Geschichte erzählt. Als Hoffnungsgeschichte: die Jugendlichen der Klassen 9-11 machen an diesem Vormittag einen sehr berührten und nachdenklichen Eindruck. Womit Torsten Hartung sie wohl genau berührt und zum Nachdenken gebracht hat? Was haben sie an Bekanntem entdeckt und können sie Positives für ihr Leben erkennen? Die Hoffnung nicht aufgeben, Ehrlichkeit im Umgang mit den Mitmenschen und mit sich selbst und Vertrauen auf das Gute im Leben – seien es Gott, Allah oder ein mir gewogenes Schicksal. Diese Botschaft dürfte bei allen Hörerinnen und Hörern angekommen sein.